Die Zeit vergeht wie im Fluge, die vier Monats-Marke ist geknackt. Bald ist Bergfest.

Die Nachrichten, die uns aus Schweden erreichen, lassen vermuten, dass es unserer Tochter sehr gut geht. Aber so wirklich können wir uns nicht an das Fehlen eines Familienmitglieds gewöhnen, es fehlt was. Es ist schwer zu beschreiben, was da in uns vorgeht. Rein sachlich betrachtet, ist das alles in Ordnung, so wie es ist, emotional jedoch ist es schon speziell. Gerade in der dunklen Zeit, Weihnachten, der Jahreswechsel, die aufregenden Berichte durch den Wechsel der Gastfamilie, all das löst „Karneval im Hirn“* aus. Das Gefühl sagt, wir wären gerne dabei, der Verstand wiederum sagt, Nein das wollen wir nicht. Das ist bestimmt dieses „loslassen lernen“, wovon alle immer wieder schreiben. Es ist alles so fern und doch so nah.

Anstrengend ist es auch für unseren zu Hause verblieben Sohn. Er muss all das abfangen, was sich unsere Kinder geteilt haben. Wir als Eltern haben jetzt viel mehr Zeit, um uns um ihn zu kümmern. Bestimmt ist das ihm nicht immer recht. Er meint zwar, dass sein Schwester nicht fehlt, aber so recht mögen wir das nicht glauben. Er zieht sich in seine Onlinewelt zurück und schweigt. Auch eine Art der Aufgabenbewältigung. Wenn wir fragen, wie es ihm geht, sind wir jetzt nicht nur peinlich, sondern bestimmt jetzt auch noch nerviger als sonst. Aber da müssen alle durch.

Durch den Familienwechsel in Schweden hat sich das ganze Umfeld unserer Tochter geändert. Auch die Betreuung der Organisation. Betreuung, ach ja, da war was, oder besser, da sollte was. Bisher hat sich niemand bei unserer Tochter und uns gemeldet. Wir haben mal nach einer Woche bei der Organisation nachgefragt und haben auch prompt die Adresse der neuen Betreuerin bekommen. Mehr aber nicht. Nach unserem Empfinden sieht eine Betreuung anders aus. Aber wir sind von unserer Tochter gebeten worden, nicht weiter nachzubohren, sie weiß, wie das Enden kann, auch wenn wir eigentlich diesen Zustand so nicht akzeptieren wollen. Das war anders abgesprochen und vereinbart. Nicht, dass wir zur Zeit jemanden bräuchten, es würde uns aber viel emotionale Sicherheit geben. Und die fehlt jetzt. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur am Zeitpunkt. Über die Feiertage hat niemand wirklich Lust, sich mit Fremden Kindern zu beschäftigen. Wobei nach unserer Vorstellung ein kurzes „Hallo, ich bin … und du kannst dich gerne melden, wenn was ist.“ nicht zu viel verlangt ist. Und schließlich ist es der Job, den die Agentur da eingegangen ist. Vielleicht sind wir aber auch einfach nicht locker genug drauf, kann sein. Bisher haben wir keine Hilfe von der Organisation gebraucht, die Gastfamilien haben bisher alles perfekt gemanagt, aber die ein oder andere Frage stellt sich uns schon.

Zum Beispiel die Schweden ID.
Ein weiteres großes Mysterium für uns. Gelernt haben wir, dass man diese Personennummer in Schweden beantragen kann, sobald man beabsichtigt länger als 12 Monate im Land zu leben. Ohne diese Nummer ist das Leben in Schweden etwas beschwerlicher. Man braucht diese Nummer zum Beispiel um ein Busticket für den Weg zur Schule zu bekommen, sich in Vereinen anzumelden und vielen anderen Kleinigkeiten. In den letzten 4 Monaten wurde das Fehlen dieser Registrierung immer mit einer wohl schwedisch typischen Gelassenheit gelöst. Jetzt in der neuen Schule läuft das ordentlicher und geht so nicht mehr. Auf unsere Nachfrage, wie wir damit umgehen sollen, kam nur zurück – geht nicht. Nach etwas suchen im Netz findet man allerdings Quellen, die besagen, dass es doch geht. Zum einen Blogs von Austauschschülern die sich gefreut haben „endlich ein Mensch“ zu sein, also ihre ID bekommen zu haben, zum Anderen die Aussagen, dass man die Nummer nicht selber beantragen kann, vielmehr eine Behörde oder Schule dies für einen beantragen kann. Ob das wirklich notwendig ist und wie lange das dann dauert – keine Ahnung. Aber wir werden es herausfinden, wie alles anderen Austauschschüler auch. Vielleicht geht es ja auch anders. Schade finden wir nur, dass dieses „Rad“ alle für sich neu erfinden müssen. Die Problematik ist ja nicht neu, nur für uns schon. Aber das ist wohl so und wir haben uns damit abgefunden das selber herausfinden zu müssen.
Eine kleine Anmerkung am Rande: warum haben wir uns für eine schwedische Organisation entschieden? Genau, wir dachten, die kennen sich in dem Land aus. Aber egal – „wishing you a nice day“ und wir werden die Aufgabe schon selber lösen.

Uns erreichen immer wieder Nachrichten von Eltern, die auf der Suche nach eine Organisation für ihre Kinder sind. Es scheint gerade die Akquisezeit für das Austauschjahr 2018/2019 zu sein. So fällt es schwer, sich da neutral zu äußern. Zu emotional sind wir noch eingebunden. Auch wissen wir, dass vieles in so einem Austauschjahr sehr individuell unterschiedlich sein kann. Jedes Kind, jede Familie ist anders. Je nach Land und persönlichem Entwicklungsstand des Kindes ergeben sich viele unterschiedliche Bedürfnisse. Da braucht man Menschen die Erfahrung auf diesem Gebiet haben. Und das haben wir nicht. Auch Themen, die uns stören oder mindestens „Geschmäckle“ haben, können für anderen Familien egal sein. Daher wäre es unfair vor dem Abschluss unseres Austauschjahres Empfehlungen auszusprechen. Das soll jetzt nicht heissen, dass Eltern, die sich austauschen wollen, uns nicht mehr anschreiben sollen, aber wir sind zur Zeit emotional noch sehr mit unserem „Projekt“ beschäftigt und sind daher noch nicht bereit für ein abschließendes Bild. Auch sind wir gewarnt worden, so lange der Austausch noch läuft, das Verhältnis zu unsere Organisation durch Äußerungen von uns zu beschädigen. Diese Gefahr sehen wir zwar nicht, da wir weder die Unwahrheit sagen, noch schlecht über irgend jemanden reden oder schreiben, dennoch ist da sicher was dran.Wir beschreiben lediglich unsere Situation und geben unsere Gefühle weiter. Wenn etwas passiert was uns nicht gefällt werden wir auch das ansprechen, ob das nun allen gefällt oder nicht, ist im Grunde erstmal egal. Wichtig ist nur das man drüber spricht.

Wir hoffen das jetzt die Tage wieder länger werden und die restliche Zeit genau so schnell vorbei geht wie die ersten vier Monate. Wir sind gespannt was diese Zeit mit uns noch so alles anstellen wird. Es ist spannend.

 

*Sprachgebrauch unserer Tochter