Es müssten jetzt noch etwas um die 120 Tage sein, bis unser „Kind“ wieder zurück kommen sollte. Emotional fahren die Gefühle bei den in Köln gebliebenen Autoscooter, aber besoffen. Die Kontakte nach Schweden haben gefühlt deutlich abgenommen. Faktisch ist das sicher nicht so, aber gefühlt schon. Immer wieder erwische ich mich, die Gedanken in Schweden, wie ich mich selbst frage – was geht da im Norden. Gerne würde ich mehr wissen, wie es so läuft. Das es so schwer ist, seine Brut einfach mal ziehen zu lassen, hätte ich nicht gedacht. Jetzt muss ich und der Rest der Familie da durch. Mit der ersten Gastfamilie hatten wir noch ein kleines bisschen Austausch, mit der neuen ehr nicht. Der Austausch mit der Gastfamilie, auch wenn es durch die Sprache etwas holprig und mit Missverständnissen verbunden war, hat grade in der Anfangszeit geholfen, ein Gefühl zu entwickeln, wie es dem Kind in der Ferne so geht. Dass es jetzt in der zweiten Gastfamilie etwas anders ist, ist zwar so absolut in Ordnung, schwer ist es trotzdem. Wir hoffen, dass die Bilder, die wir hier über diverse Kanäle mitbekommen, echt sind und kein Produkt einer Onlinescheinwelt. Latent schwingt immer etwas Sorge mit. Es ist schwer zu begreifen, dass das „kleine Kind“, welches letzten Sommer auszog ist, die Welt zu erkunden, groß geworden ist und ihr leben selbst in die Hand genommen hat. Eigentlich wollten wir das ja so, aber dass es einen so brutalen emotionalen Einfluss hat, hätte ich nicht für möglich gehalten. Immer wieder kommen, in Zeiten, an denen das Hirn Leerlauf hat, Fragen auf. Neben den rein organisatorischen Fragen – wie geht es hier nach der Rückkehr mit der Schule weiter, wann müssen wir anfangen Vorbereitungen zu treffen, müssen wir überhaupt uns um irgendetwas kümmern oder kann bzw. möchte die „junge Frau“ das alleine machen und managen – bis hin zu den emotionalen Fragen – ist im Norden alles gut, sind die Menschen nett zu unserem Kind, wie klappt es in der Schule, kommt sie mit der Sprache klar, stimmen die Aussagen „alles gut“ oder will man nur versuchen eine Eskalation zu verhindern. Das geht endlos so weiter. Besonders Nachts, wenn der Körper zur Ruhe kommt, geht die Kopfkirmes los. Man könnte die Kirmes zwar mit dem ein oder anderem Glas Rotwein reduzieren, aber das halten wir für keine gute Lösung, zu Säufern zu werden. Manchmal kommt mir das Hirn wie eine große Lottokugel mit unendlich vielen Bällen vor. Jeder Ball ein Thema, alle Bälle wirbeln durcheinander, scheinbar keiner Ordnung, nur Chaos. Zu viel um einen Überblick zu behalten. Keine Chance auch nur einen Gedanken länger im Blick zu behalten, alles durcheinander. Wenn man dann morgens aufsteht und bei der ersten Tasse Kaffee die Nachrichten der Nacht auf dem Telefon checkt, kommt eine Vernunftsstimme aus dem Off und flüstert: „Da kann nichts neues sein. Auch in Schweden wird Nachts geschlafen.“ Stimmt, wie soll auch was neues gekommen sein. Wenn das so wäre, hätten wir vermutlich ein Problem, weil unser Kind nicht geschlafen hätte. Morgens nichts zu lesen ist also eigentlich ein gutes Zeichen. Warum schaut man dann morgens immer wieder nach und ist traurig nichts zu lesen? Das macht keinen Sinn, ist aber so.
Zu all der Kopfkirmes kommen dann noch alltägliche „Aufgaben“.
Kurz zur Einführung in eine dieser „Augaben“: Zur Zeit ist es so, dass es durch den Wechsel der Gastfamilie keine lokale Betreuung unserer Tochter gibt. Wobei, so ganz stimmt das nicht, es gibt einen Namen und eine Telefonnummer.
Die hat sich zwischenzeitlich auch mal gewechselt, kann ja mal passieren – weiter nicht schlimm, aber mehr als eine Mail gab es nicht an Austausch oder gar Betreuung. Aber ein Austausch mit jemandem ausserhalb der Gastfamilie ist wichtig und sowas fehlt unserer Tochter gerade. Nein, es gibt keine Probleme, aber manchmal ist es auch für einen stabilen Teenager gut, sich austauschen zu können und das auch zu tun. Das Gefühl „da ist jemand der mich hört und im Notfall nur für mich da ist“ hilft in vielen Situationen alles etwas gelassener angehen zu können. Und jetzt kommt direkt die nächste Frage. Wer kommt überhaupt in Frage für so eine Betreuung? Mit einem Teenagern der grade sein Auslandsjahr abgeschlossen hat und angefangen hat zu studieren ist es nicht getan, das funktioniert nicht. Sicher ist es nicht einfach, Menschen zu finden, die sich mit fremden Teenagern beschäftigen, die weit verstreut in einem Land leben und alle irgendwie anders und einzigartig sind. Aber das war „Part of the Deal“ so jemanden zu finden.
Ich habe mal bei unserer Tochter nachgefragt, ob ich nach über zwei Monaten nicht mal „mir die Jacke aufmachen“ soll und mit etwas Nachdruck die VorOrt Betreuung einfordern solle. Das ist aber ausdrücklich nicht gewünscht, Lust hätte ich schon. Das führt zu nichts, ausser einer neuen Telefonnummer. Ein Stück weit ist das sicher richtig, dass man diese benötigte Betreuung nicht erzwingen kann. Sollte ich das mit Nachdruck fordern, würde sicher was passieren. Aber, ob dann die nötige Vertrauensbasis herstellbar sein wird, wahrscheinlich nicht. Lust hätte ich schon der Agentur mal klar zu machen wie ich die Situation finde und wie ich die bunten Prospekten und das Beratungsgespräch verstanden habe. Es gibt da ein Delta in der Wahrnehmung wie eine lokale Betreuung aussehen sollte. Ich verstehe da mehr als einen Namen und eine Telefonnummer zu übermitteln und zu sagen „wenn es was gibt, ruf an“. Aber das klären wir nach dem Jahr und ich halte die Füße erstmal still. Aber mein Hals ist schon leicht geschwollen.
Über dieses ganze Chaos im Hirn kommen jetzt auch noch die deutlich zunehmenden Fragen aus dem Umfeld. Wie geht es, ist alles gut, warum macht man sowas überhaupt, früher…, und so weiter. Die Aufzählung könnte beliebig fortgeführt werden. Alle Fragen, die man sich vorstellen kann, kommen, die anderen aber auch. Regelmäßig bekommen wir Anrufe von Menschen die uns Fragen, ob es was neues gibt. Die Anrufenden scannen alle verfügbaren Medien selber und wissen oft besser Bescheid, als wir selber und sind ganz verwundert, dass wir nicht auf dem laufenden sind. Kurz, das nervt. Wir haben schon überlegt, ob wir uns einfach mal Geschichten auszudenken und dann vorzutragen.
Zum Schluss nur nochmal für das Protokoll: Wir haben kein Superkind geschaffen, ein ganz normales Mädchen, was auszog die Welt zu erkunden. Vielleicht etwas früher als in anderen Familien, mehr aber auch nicht. Früher oder später trifft es jede Familie. Wir haben das nur schonmal geübt.
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